Unsere Wahlheimat München ist aus vielen Gründen eine Reise wert. Einen davon kannst Du bei einem Spaziergang durch ein Viertel, in dem Ricarda und ich jahrelang wohnten, erleben. Schwabing – ehemals Bohème– und heute begehrtes Wohnviertel, hat eine Besonderheit, die von seinen Bewohnern oft übersehen wird: die vielen beeindruckenden Bauwerke aus einer Zeit, als der Stadtteil ein wichtiges Zentrum einer kurzen, verrückten Kunstbewegung war – dem Jugendstil.
Jugendstil in Schwabing – Verrückte am Münchner Isarufer
„Jugendstil“ ist der deutsche Name der Kunstepoche „Art Nouveau“ an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Der Name stammt von der 1896 gegründeten Zeitschrift „Jugend – Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben“. Die Protagonisten und Anhänger dieser Kunstrichtung sorgten durch wahre und erfundene Geschichten für einigen Aufruhr unter den gesetzteren Münchener Bürgern. Dass sie sich in Tücher hüllten und in den Isarauen tanzten, gehört zu den harmloseren (wahren) Geschichten. Diese „Verrückten“ hinterließen uns unter anderem wunderschöne Bauwerke. Wir möchten Dir eine kleine Route durch Schwabing empfehlen, bei der Du einige unserer Lieblingsgebäude kennenlernen wirst. Dieser Spaziergang dauert etwa 40 min.
Münchner Freiheit – Die Tour beginnt
Beginne an der U-Bahn-Station „Münchner Freiheit“, nimm den Ausgang „A – Clemensstraße“. Oben angekommen, stehst Du direkt vor einem prachtvollen Werk des Jugendstil-Architekten Martin Dülfer (Leopoldstraße 77), in dem er auch selbst gewohnt hat. Die farbenfrohen floralen Ornamente und asymmetrischen Gebäudeteile sind typische Jugendstilelemente. Typisch für den Jugendstil ist übrigens auch, dass diese Elemente nicht immer verwendet wurden. Denn „typisch“ wollte man auf keinen Fall sein. Das erste Stück des Weges führt zunächst in Richtung Innenstadt/Odeonsplatz. Die Leopoldstraße selbst bietet kaum weitere nennenswerte Jugendstil-Highlights. Die Attraktion hier ist eher „sehen und gesehen werden“, für Einheimische und Gäste gleichermaßen. Wir biegen deshalb schon nach ein paar hundert Metern nach rechts in die Kaiserstraße ab.
Ainmillerstraße – Vielleicht kommt Dir hier etwas bekannt vor
Zwischen zwei deplatziert wirkenden, aber schönen Backsteinfassaden-Gebäuden im Neurenaissance-Stil gibt es eine gefällige Jugendstilfassade zu sehen (Kaiserstraße 14), die insgesamt das Prinzip der Asymmetrie zeigt – zum einen ein Versuch sich von historistischer Bauweise abzuwenden, zum anderen eine Hinwendung zu Formen und Gestaltungsprinzipien, die an die Natur angelehnt sein sollten. Der kurze weitere Weg durch die Kaiser- und die Wilhelmstraße ist jugendstilfrei, aber unser nächstes Ziel hat es dafür in sich. Nachdem Du rechts in die Ainmillerstraße abgebogen bist, erreichst Du nach ein paar hundert Metern die Hausnummer 20, eins der auffallenderen Häuser dieser Stilrichtung in Schwabing. Hier gefallen uns besonders der Eingang und der verspielte Dachbereich. Ein paar Meter weiter (Nummer 22) steht eines der schönsten und meistfotografierten Jugendstilhäuser Münchens. Seine blaugoldenen Verzierungen und die altägyptisch anmutenden Köpfe an den Fensterbögen hast Du vielleicht schon einmal auf einem Bild gesehen. Besonders hübsch finden wir die Figuren über der hölzernen Eingangstür – Adam und Eva kurz vor dem Sündenfall.
Wenn Du Dich satt gesehen hast, geh noch ein Stück weiter, vorbei an der Hausnummer 33, mit seinem Muschel-verziertem Eingang und der 40, bei der bemerkenswerterweise kaum ein Fenster dem anderen gleicht, bis zur Römerstraße. Übrigens: In diesem Teil der Ainmillerstraße wohnten einige Jahre lang Wassily Kandinsky und Paul Klee.
Römerstraße – ägyptisch trifft griechisch
Dass Du in der Römerstraße rechts abbiegen solltest, hättest Du alleine gemerkt, da Dir als erstes das imposante Gebäude mit seinen roten säulenartigen Ornamenten, den golden verzierten Pharaonengesichtern, einer Darstellung des Narziss und den in ein Pfauenornament eingebetteten Dachfenstern ins Auge stechen wird. Gleich daneben bietet das Haus mit der Nummer 15 ein weiteres farbenfrohes Highlight unserer Tour. Die beiden Gebäude sind so schön, dass man fast die schräg gegenüber liegenden Exemplare übersieht, die allerdings nicht so spektakulär und auch nicht so bekannt sind. Folge der Römerstraße in die Gegenrichtung bis zum Ende. Hier hat übrigens jedes Gebäude Jugendstilelemente.
Franz-Joseph-Straße – Schlangen und Pfaue
Biege links in die Franz-Joseph-Straße ein. Das erste Gebäude auf der linken Seite wird oft nicht als Jugendstilhaus wahrgenommen. Dabei ist es ein besonders schönes Exemplar. Vielleicht liegt es daran, dass man auf farbenfrohe Verzierungen verzichtet hat. Diese hat wiederum die Hausnummer 23 zu bieten und zwar sehr ungewöhnliche: zum Beispiel gemusterte Säulen und blaue Balkone an einem ansonsten einfarbigen Haus mit einem übrigens sehenswerten Dachgiebel. Ein paar Häuser weiter (Franz-Joseph-Straße 19) fällt zuerst die Glastür mit einem grün-lila Metallrahmen auf. Wenn Du hindurch siehst, bekommst Du nicht nur einen Eindruck vom Eingangsbereich, sondern auch, durch das Gegenstück der Glastür hindurch, einen kleinen Blick auf den verwunschenen Garten im Innenhof. Die Fassade und Balkone dieses Schmuckstücks zieren Schlangen- und Pfauenmotive in Grün und Gold. Letztere sind der Grund dafür, dass das Gebäude „das Pfauenhaus“ genannt wird. Du solltest es nicht versäumen, Dich direkt unter die Balkone zu stellen und einen Blick nach oben zu werfen. Geh danach ein paar Meter in die Richtung, aus der Du gekommen bist, und biege links in die Friedrichstraße ein.
Am Leopoldpark entlang bis zur Georgenstraße
Das herrschaftliche Haus in der Friedrichstraße 18 sieht auf den ersten Blick nicht nach Jugendstil aus, ist ihm aber eindeutig zuzuordnen. Der Architekt Max Langheinrich lehnte sich etwas an den Stil des Barock an, ohne ihn wirklich nachzuahmen. Das war im Jugendstil nicht ungewöhnlich. Man machte, was einem gefiel und wollte sich an keine Konvention halten. Das wäre auch undenkbar gewesen. Die Nachahmung historischer Architekturströmungen – der Historismus – war genau das, wogegen sich die Jugendstil-Baumeister wandten. Unser Weg führt am Leopoldpark vorbei, der bei den Besuchern der Stadt weitgehend unbekannt ist, obwohl er parallel zu einer der beliebtesten Flaniermeilen Münchens, der Leopoldstraße, verläuft. Der Park lädt mit seinen dichten Baumkronen dazu ein, an heißen Tagen ein paar Minuten zu verweilen und zum Beispiel über die gewonnenen Eindrücke nachzudenken. Obwohl entlang der Friedrichstraße einige unschöne Bauten der jüngeren Vergangenheit stehen, gibt es doch einiges an Jugendstil auf dem Weg zu unserer letzten Station zu sehen. Halte einfach die Augen offen und richte den Blick eher nach oben.
Georgenstraße 10 – Kein Jugendstil?
Sehr bald, nachdem Du links in die Georgenstraße eingebogen bist, erreichst Du die Hausnummer 10, das Palais Bissing. Dieses Gebäude wurde zunächst im Stil der Neorenaissance gebaut und dann im so genannten Reformstil radikal umgebaut. Die Reformarchitektur wandte sich wie der etwa zeitgleich aufkommende Jugendstil gegen den Historismus, hielt aber an traditionellen Baumaterialien und Bauweisen fest. Viele Reformstil-Gebäude zeigen Einflüsse des Jugendstils. Das lässt sich auch hier nicht verleugnen, finden zumindest Ricarda und ich. Wir sind aber beileibe keine Architektur-Experten. Interessant ist, wie das Gebäude je nach Quelle eingeordnet wird. Von Reform- über Jugendstil, bis hin zu „Neubarock“ ist auch auf offiziellen Seiten der Stadt München einiges zu finden. Egal – wir wollten Dir die farbenfrohe und sehenswerte Fassade dieses Schmuckstücks als Abschluss der Tour auf keinen Fall vorenthalten.
Vom Jugendstil zurück ins Schwabing der Gegenwart
Wenn Du der Georgenstraße bis zum Ende folgst und dann links abbiegst, erreichst Du sehr bald die U-Bahn-Station „Giselastraße“ an der Leopoldstraße. Von dort aus fährt man eine Station bis zum Ausgangspunkt unserer kleinen Tour. Links am Palais Bissing vorbei führt übrigens ein kurzer Weg zum bereits erwähnten Leopoldpark. Von dort aus erreichst Du ebenfalls bequem die U-Bahn-Station. Natürlich kannst Du auch zu Fuß zur Münchener Freiheit zurückgehen und Dir bei schönem Wetter ein nettes Café zum Draußensitzen suchen. Schließlich ist Schwabing auch dafür bekannt. Für individuellere Cafés empfehlen wir eher die Seitenstraßen.
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Text: Christian Hollweg
Fotos: Ricarda C. Hollweg
Der Beitrag Jugendstil in Schwabing – Ein Spaziergang erschien zuerst auf HIDDENTRACES.